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Gott & Welt

"GehorcheKeinem. Horche hin."

„GehorcheKeinem. Horche hin.“ Predigt in der Petrikirche am Fest Allerheiligen 2009

1. „GehorcheKeinem“ - in roten Buchstaben steht diese Mahnung über dem Eingang der Uni-Bibliothek. Am Freitag ist sie offiziell eingeweiht worden. Das Kunstwerk von Babak Saed hat schon in den Tagen zuvor die Gemüter erhitzt. „Gehorche keinem“: ein Aufruf zum Ungehorsam? Ein provokativer „Hingucker“? Eine Mahnung zu kritischer Reflexion? Ein logischer Widerspruch? Wie kann ich dem Befehl gehorchen, ohne ihn ad absurdum zu führen? Ich möchte mit Euch, mit Ihnen, ausgehend von diesem Spruch über der Uni-Bibliothek über das Gehorchen und das Horchen nachdenken – und damit auch über Allerheiligen.

2. Jedes Wort wird mitbestimmt durch den Kontext, in dem es gesagt wird. „GehorcheKeinem“: Wie klingt diese Mahnung in einer Diktatur, die Anspruch auf unbedingten Gehorsam erhebt? Wie lebensgefährlich wäre beispielsweise dieses Wort, wenn es im nationalsozialistischen Deutschland an die Wände der Universitätsbibliothek geschrieben worden wäre? Wie ermutigend ist es für jene, die sich dem Druck des Konformismus widersetzen – um den Preis des eigenen Lebens. Doch wie anders klingt das Wort in einer individualisierten Gesellschaft, mit einer großen Vielfalt von Lebensmustern, in der ich alles so oder so oder wieder anders machen kann (wenn ich denn das nötige Geld habe)? Ob dann Ungehorsam auch darin bestehen kann, sich der absoluten Offenheit des „anything goes“ zu widersetzen, sich Normen und Autoritäten zu suchen, auf sie zu hören, ihnen in Freiheit zu gehorchen?

3. „Zur Freiheit hat uns Christus befreit.“ (Gal 5,1) Diese Glaubenserfahrung des Apostels Paulus ist grundlegend für das christliche Freiheits- und Gehorsamsverständnis. Wo immer sich Menschen zum „blinden Gehorsam“ gezwungen sehen – durch eine Gesellschaft, einen Staat, eine soziale Gruppierung, eine Kirche – erinnert das Evangelium daran, dass wir „zur Freiheit befreit“ sind. Allen Menschen, die sich als Herrgötter aufspielen, allen Institutionen, die Anspruch auf unbedingten Gehorsam erheben, gebührt der Widerspruch. In der Taufe wurde jedem von uns das Kreuzzeichen als Signum unserer Freiheit auf die Stirn gezeichnet und damit gesagt: „Du bist kein Sklave, bist niemandes Knecht.“ Das heißt: „Du gehörst nicht dem Staat, nicht deinem Arbeitgeber, nicht der Kirche – sondern allein dem, dem sich dein Leben verdankt.“ Wenn Christen sich als die zu Christus Gehörenden, Gott gehorchenden Menschen begreifen, weckt dieses Selbstverständnis den Widerstand gegen alle innerweltlichen Herrschaftsansprüche. Paulus schreibt euphorisch an die Gemeinde in Korinth: „Alles gehört euch. Paulus, Apollos, Kephas, Welt, Leben, Tod, Gegenwart und Zukunft: alles gehört euch. Ihr aber gehört Christus, und Christus gehört Gott.“ (1 Kor 3, 21-22)

4. Diese Zugehörigkeit hat Konsequenzen. Sie holt uns nicht aus der Welt heraus, sondern befreit uns, wach in dieser Welt zu leben und uns ihr zuzuwenden. „Horche hin!“ ist die Aufforderung zu einem Gehorsam in Freiheit – man könnte das programmatisch in roten Lettern vor die Fassade der Petrikirche schreiben: „Horche hin. Verschließe deine Ohren nicht. Nimm wahr, was in dir und um dich herum passiert. Lasse dir die Welt nahe gehen. Scheue die Begegnung nicht. Hab keine Angst, dich zu verlieren. Nimm wahr, was dein Auftrag, deine unverwechselbare Aufgabe in dieser Welt ist. Du bist von Gott befähigt, ‚die Geister zu unterscheiden’ (Ignatius v. Loyola) und zu erkennen, was dir und deiner Welt zum Frieden und zum Heil dient.“

5. Dieses Hinhorchen, dieser Gehorsam, ist immer konkret. Er ereignet sich in jeder Lebensgeschichte neu und anders. Er ist geprägt durch die Biographie eines jeden Menschen, seine individuellen Begabungen, die soziale Situation, die Aufbrüchen und Krisen seiner Umgebung, die Begegnungen und Gedanken, mit denen dieser Mensch konfrontiert wird. Es ist eine lebenslange, geistliche Aufgabe zu erkennen, wozu Gott mich jetzt ruft. Das Hören auf das Evangelium und die Wahrnehmung der „Zeichen der Zeit“, das Gespräch mit anderen Menschen, die Verbundenheit mit der Gemeinschaft der Glaubenden und das persönliche Gebet sind für Christen wesentliche Momente dieses horchenden Suchens nach Gottes Ruf.

6. Wenn wir heute das Fest „Allerheiligen“ feiern, dann blicken wir auf die Lebensgeschichten unserer Ahnen: dann schauen wir auf Menschen, die hingehorcht haben, was ihre Aufgabe in ihrer Lebenszeit war. Uns von ihrem Gehorsam prägen zu lassen, bedeutet nicht, ihnen alles nachzumachen, sondern uns von ihnen zum Hören ermutigen zu lassen. Sie waren so frei, ungewohnte Wege zu wagen, Konflikte einzugehen, die Alltäglichkeit des Lebens anzunehmen, Schritte zur Versöhnung zu beschreiten, einer Gemeinschaft treu zu bleiben, in die Einsamkeit aufzubrechen, ihr Leben zu riskieren – sich in Freiheit zu entscheiden, weil sie das als ihre Aufgabe erkannt hatten. Ich wünsche uns, dass wir uns von diesen Zeuginnen und Zeugen eines „Gehorsams in Freiheit“ zum Hinhorchen und einem dem entspringenden Handeln ermutigen lassen. „Gehorche keinem. Horche hin.“

Dr. Siegfried Kleymann, Studentenpfarrer


Der Vorschlag, als Antwort auf den Schriftzug „GehorcheKeinem“ an der ULB die Ermutigung „Horche hin“ an der Petrikirche anzubringen, wurde vom Gemeinderat der KSHG aufgegriffen. Während der Adventszeit ist das Wort gut sichtbar an der Petrikirche angebracht und begleitet das Leben als Ermutigung und Provokation. Die zweite Predigt nimmt dieses Wort am 1. Adventssonntag auf.

„Horche hin“ - Predigt zum 1. Adventssonntag

1. „Höre Israel!“ Diese Aufforderung begleitet die Glaubenden in der Bibel von Anfang an. „Höre!“ Das zieht sich wie ein Cantus firmus durch die jüdisch-christliche Glaubensgeschichte. Immer wieder werden die Glaubenden ermutigt, gedrängt, eingeladen, hinzuhören. Gemeinschaftlich wie im Buch Deuteronomium: „Höre Israel.“ (Dtn 6,4) Persönlich wie beim jungen Samuel, der erst nach und nach versteht, was Gott mit ihm vorhat: „Rede, Herr, denn dein Diener hört.“(1 Sam 3,9) Immer wieder gibt es die Erfahrung der Taubheit - „Sie haben Ohren und hören nicht!“ (Ps 115,6) – und die fast flehentliche Bitte Gottes: „Hört auf mich, ihr vom Haus Jakob.“ (Jes 46,3); „Horcht auf, hört auf meine Stimme, gebt acht!“ (Jes 28,23) „Hört auf mich, dann bekommt ihr das Beste zu essen.“ (Jes 55,2). Jesus stimmt in dieses Werben ein. Immer wieder bittet er um Gehör, ermutigt zum Horchen – „Habt ihr denn keine Ohren, um zu hören?“ (Mk 8,18) „Wer Ohren hat, der höre!“ (Mt 13,9) - und erleidet das Missverstehen seiner Freunde und das Unverständnis seiner Gegner.

2.Wir können hören – und hören doch nicht. Von Kindesbeinen an, schon im Mutterleib, nehmen wir akustische Signale wahr, hören Töne, Stimmen. Wir lernen sprechen, weil wir Angesprochene sind. Wir werden mündig, weil wir vernommen haben, wie andere uns anreden. Doch im Hören erfahren wir eben nicht nur das Glück des Angesprochen-Seins, der zärtlichen Worte, der freundlichen Ermutigung, sondern hören abschätzige Bemerkungen, dahingesagte Kränkungen, falsche Schmeicheleien. An unsere Ohren (und Herzen) dringen eine Fülle von Informationen und widersprüchliche Töne. Wer kennt nicht den Wunsch, abzuschalten und wegzuhören? Wer kennt nicht die Erfahrung, in einem Gespräch mehr mit dem Formulieren eigener Antworten denn mit dem wirklichen Zuhören auf den Anderen beschäftigt zu sein?

3. Werbend und ermutigend trifft uns die biblische Botschaft: „Du kannst hören! Höre! Horche hin.“ Es ist ein Hören, das sich von dem herausfordern lässt, was gehört wird; ein Lauschen, das wahr nimmt und bei dem sich der Hörende von dem berühren und verändern lässt, was er hört. „Hab keine Angst, vor dem, was du hörst – vor den schrillen Tönen, den widersprüchlichen Stimmen, vor dem, was dich im Hören herausfordert und beunruhigt. Du kannst hören: wahrnehmen, unterscheiden, wählen!“ Dieses Zutrauen prägt die biblische Botschaft: „Du als einzelner Mensch kannst deine Berufung, den Ruf Gottes für dein Leben, vernehmen. Ihr als Menschen könnt in einem gemeinsamen kommunikativen Prozess das finden, was für euch – für die Menschheit, für die Schöpfung, für kommende Generationen – gut ist. Habt keine Angst, dass ihr davon überfordert werdet. Hört hin.“

4. Konkret für die KSHG: Wenn wir am kommenden Dienstag in einer offenen Gemeinderatssitzung über die Studienbedingungen reden – im Für und Wider der verschiedenen Positionen; wenn wir zur Zeit Meinungen zur Bankordnung in der Petrikirche erfragen und in einer intensiven Diskussion nach einer praktikablen Form suchen; wenn wir im Adventskalender die Bibelworte in unsere Alltagsrealität hineinhören und vielleicht Unerhörtes vernehmen, dann trauen wir der Gabe des Hörens.

5. „Wir können hören!“ Diese Erfahrung ermutigt auch zum Horchen auf jene Stimmen, die leise sind und leicht überhört werden; auf den Einspruch, der zu stören scheint, und auf die Worte, die unverständlich scheinen; auf die Autorität der Leidenden und Anklagenden. Dass wir auf sie in besonderer Weise hören und helfen, ihre Stimmen vernehmbar zu machen, gehört zu christlichem Hinhorchen. Und die Aufforderung zum Hinhören weckt den Widerstand gegen eine Form des Horchens, das mehr Aushorchen als Hinhören ist und bei dem das Gehörte als Machtmittel, als taktische Information, eingesetzt wird. Wo Menschen dem Lauschangriff anderer Menschen oder mächtiger Institutionen ausgesetzt sind, gilt es, sich in Acht zu nehmen, das Aushorchen offen zu legen und sich gegen diese Bemächtigung zu wehren. Die Wertschätzung des Horchens fordert eine kritische Haltung gegen jeden Missbrauch des Hörens.

6. „Du kannst hören!“ Ich wünsche uns, dass wir das in diesem Advent neu erfahren und einüben können: in der Begegnung mit anderen, im konstruktiven Streit, im Lauschen auf die Stimme unseres Gewissens, in der Offenheit für die Herausforderungen unserer Welt, im wachen Hören auf die frohe Botschaft. Horchen wir hin.

Dr. Siegfried Kleymann

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